Ivan Ivanji 1929-2024

Mit dem serbisch-österreichischen Schriftsteller Ivan Ivanji, der am 9. Mai in Weimar gestorben ist, verliert der Picus Verlag einen väterlichen Freund, einen immer anregenden Gesprächspartner und einen seiner produktivsten und beeindruckendsten Autoren, der dem Verlag fast seit Anbeginn eng verbunden war.

 

Ivan Ivanji wuchs in einer bürgerlichen, säkular-jüdischen Familie in Veliki Bečkerek/Zrenjanin im multikulturellen serbischen Banat auf und sprach bereits als Kind Serbokroatisch, Ungarisch und Deutsch. 1944 wurde er im Alter von 15 Jahren in die Konzentrationslager Auschwitz und von dort nach Buchenwald deportiert, seine Eltern wurden ermordet, was er in zahlreichen Romanen thematisierte. Im Nachkriegsjugoslawien war er unter anderem Lehrer, Theaterintendant, Dolmetscher des Staatspräsidenten Tito, jugoslawischer Kulturattaché an der Botschaft in Bonn, Übersetzer von Günter Grass und Bertolt Brecht und Schriftsteller. Im Zuge der Balkankriege floh Ivanji Anfang der neunziger Jahre nach Wien, das bis zuletzt neben Belgrad ein Lebensmittelpunkt für ihn blieb.

 

Seit 1991 erschienen 19 Romane und Erzählungen von Ivan Ivanji, die er auf Deutsch verfasste oder selbst aus dem Serbischen ins Deutsche übertrug, im Picus Verlag. Viele seiner Romane thematisieren die Zerschlagung der multikulturellen Welt seiner Kindheit und die Gräuel des NS-Regimes, das Überleben und das Sterben in den Konzentrationslagern und Elemente seiner eigenen Biografie, wobei eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Zuverlässigkeit der eigenen Erinnerung immer mitschwang.

 

Ivan Ivanjis Sterben war romanhafter, als jedes Lektorat es durchgehen hätte lassen. Zwei Tage vor seinem Ableben las er noch im Theater aus seinem Roman »Buchstaben von Feuer«, am Tag selbst sprach er als Ehrengast zur Eröffnung des Museums Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in Weimar. Achtzig Jahre nach seiner Deportation ins nur wenige Kilometer entfernte KZ Buchenwald logierte er, nunmehr als Ehrenbürger der Stadt Weimar und regelmäßiger Festredner bei Gedenkfeiern zur Befreiung des Konzentrationslagers, in Hitlers Lieblingshotel »Elephant«, dessen Stammgast er längst geworden war und das er auch immer wieder literarisch verewigt hat (zuletzt in dem Roman »Corona in Buchenwald«). 79 Jahre nach dem ersten Nachkriegstag infolge der Kapitulation des Drittes Reichs, nach einem erlebnisreichen Tag und einem guten Abendessen in Goethes Lieblingslokal »Weißer Schwan« entschlief Ivan Ivanji im Schein des Polarlichts über Weimar friedlich.

 

Ivan Ivanjis starke Stimme der Erinnerung, seine analytische Klugheit und seine literarische Kraft werden dem Picus Verlag fehlen. Trost bietet der Blick auf eine fünfunddreißigjährige Freundschaft und eine Reihe bleibender Werke.